Weniger Müll produzieren, achtsamer mit den wertvollen Ressourcen unseres Planeten umgehen und nachhaltiger leben – das wollen thereotisch viele Menschen. Aber wo können wir ganz konkret loslegen und einen Unterschied machen? Weil gerade das Elternwerden viele Menschen umdenken lässt und der Schutz unserer Umwelt mit einem Baby eine ganz neue Priorität bekommt, ist eines meiner liebsten Beispiele für mehr Nachhaltigkeit das Wickeln mit Stoff (oder sogar Windelfrei).
Doch noch immer wissen viele werdende und frischgebackene Eltern nichts über die Vorteile von modernen Stoffwindeln. Und das diese in einigen Gemeinden und Städten in Deutschland sogar finanziell gefördert werden. Um das zu ändern und aus einigen Orten mit Stoffwindelzuschuss bald viele Orte zu machen, haben Oli & Katahrina ihr Projekt deine-stoffwindel.com gestartet. Ich wollte unbedingt mehr wissen und daher verrät das sympathische Elternpaar im Interview was seine Misison ist, was bisher schon erreicht wurde und welche Form von Support hilft, um das Projekt voranzubringen.
Jana Patschehand: Liebe Katharina, lieber Oli, bevor ich euch mit meinen Fragen löchere, frage ich erstmal für die Leser*innen von Patschehand.de: Wer seid ihr? Stellt euch bitte einmal vor!
Katharina & Oli: Wir sind die Gründer der Plattform deine-Stoffwindel.com
Das ist ein Portal, auf welchem wir neben einem umfangreichen Informationsblog zum Thema Stoffwindeln auch aktiv für die Verbreitung des Stoffwindelzuschusses durch Städte und Gemeinden werben.
Wir sind beide 31 Jahre jung und leben mit unserem Sohn in Berlin – Spandau. Die Geburt von Noah 2018 hat uns auf das Windelmüllproblem aufmerksam gemacht und wir hatten einfach das Bedürfnis, dass wir in diesem Bereich tätig werden wollen. Wir sind in unserem Grundsatz bereits so veranlagt, dass wir Konsum kritisch hinterfragen und uns immer bewusst damit auseinandersetzen, welche Konsequenz unser Handeln auch hat.
Wir verzichten nicht grundsätzlich auf alles, sondern reisen z.B. sehr gerne was aus ökologischer Betrachtung auch nicht immer toll ist.
Wir sind aber der Auffassung, dass man sich möglichst bewusst überlegen sollte worauf man nicht verzichten kann und es in anderen Bereichen dann besser machen kann. Bei der Windel sind wir der Meinung, dass viele einfach Einwegwindeln verwenden ohne darüber nachzudenken was dieses für Folgen hat. Ob das sinnvoll ist über 3,5 Milliarden Windeln pro Geburtsjahrgang in Deutschland an Müll zu verursachen stellen wir in Frage.
Jana Patschehand: Ihr widmet eure freie Zeit einem ganz besonderen Projekt. Bitte erzählt kurz, was eure Mission ist.
Katharina & Oli: Unser Hauptantrieb das Projekt zu starten war der politische Einsatz zur Verbreitung des Stoffwindelzuschusses. Der Stoffwindelzuschuss wird von Städten, Landkreisen bzw. Abfallverbänden gezahlt, die ihre Bürger*innen finanziell unterstützen wollen, um sich Stoffwindeln anzuschaffen.
Das nachhaltige Handeln wird also seitens der Gesellschaft anerkannt und gefördert. Im aktuellen Abfallvermeidungsprogramm des Bundesumweltministeriums mit dem Titel „Wertschätzen statt Wegwerfen“ (Informationen zum Abfallvermeidungsprogramm gibt es unter https://www.bmu.de/themen/wasser-abfall-boden/abfallwirtschaft/wertschaetzen-statt-wegwerfen/) wird sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass wir zwar im Bereich Recyclen sehr gut aufgestellt sind, aber unser Hauptziel trotzdem die Vermeidung jeglichen Abfalls sein muss.
„Wir diskutieren über Coffee to go Becher & Plastiktüten. Eines der am häufigsten verwendeten Einwegprodukte ist aber die Windel!“
So ist die Vermeidung von Abfall auch ein Leitmotiv des deutschen Abfallrechts und bildet daher die erste Stufe der fünfstufigen Abfallhierarchie gemäß § 6 des Kreislaufwirtschaftsgesetz. Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass wir über Coffee to go Becher, Plastiktüten oder auch Wattestäbchen diskutieren, aber eines der am häufigsten in Deutschland verwendeten Einwegprodukte die Windel (mit 10% Anteil am Restmüll) findet sehr wenig Präsenz in den Diskussionen.
In den Städten, in denen ein Stoffwindelzuschuss bereits eingeführt wurde, ist dies zum Glück anders: Dort hat die Kommune die Müllproblematik rund um die Windel erkannt und versucht die Bürger zu einer Verhaltensänderung zu animieren. Eine Zahlung von Fördergeld macht in diesem Bereich deswegen Sinn, da oftmals die erhöhten einmaligen Anschaffungskosten abschreckend sind für Eltern.
Bei Stoffwindeln sollte man damit rechnen, dass je nach System und Marke etwa 350 – 700€ Kosten entstehen. Im Laufe der gesamten Wickelzeit kann man dann noch etwa 150€ für Strom & Wasser fürs Waschen einkalkulieren. Für Eltern ist diese einmalig höhere Investition teilweise eine Hürde, da zur Geburt eines Kindes mehrere größere Kostenpunkte auf dem Zettel stehen, wie z.B. der Kinderwagen, das Kinderbett usw. aber langfristig gesehen macht die Investition in Stoffwindeln Sinn.
Rechnen wir z.B. einen durchschnittlichen Preis von 0,25 Cent für eine Einwegwindel und eine benötigte Stückzahl von 5500 Stück so ergibt sich eine Gesamtinvestition von 1375€. Doch die Kostenfallen immer wieder in regelmäßigen kleineren Mengen an, so dass diese erstmal nicht so spürbar für den Verbraucher sind. Wenn nun eine Stadt wie z.B. Rietberg den Eltern 225€ für Ihre Anschaffung dazuzahlt, dann ist das einmalige Kostenproblem deutlich reduziert und es wird ein Anreiz geschaffen, Stoffwindeln anzuschaffen, da der Kostenvorteil gegenüber der Einwegwindel noch deutlicher wird. Einen Überblick wo es den Stoffwindelzuschuss gibt findet man unter: https://deine-stoffwindel.com/staedte-windelzuschuss/
Jana Patschehand: Wie kam es zu eurem Engagement?
Katharina & Oli: Als wir erfahren haben, dass wir Eltern werden, stellten sich viele neue Fragen für uns. Was wollen wir wie gestalten? Wir waren schon immer Menschen die ihren Konsum sehr bewusst hinterfragen und viel Wert darauflegen, dass unser eigener CO2 Fußabdruck in einem vernünftigen Verhältnis bleibt. Wir mussten auch keine große Diskussion darüber führen, ob wir Stoffwindeln verwenden, sondern es war ein kurzes Küchengespräch „Wir benutzen Stoffwindeln, oder?“ „Ja, können wir machen!“ und somit war die Sache erstmal geklärt.
„Einwegwindeln haben den Windelmarkt seit den 1970ern fast vollständig übernommen.“
Bei einem Krankenhausaufenthalt im Verlauf der Schwangerschaft entdeckten wir dann im Wartebereich einen Flyer eines Onlinehändlers für Stoffwindeln und so begann dann die Recherche sich nun auch aktiv damit zu befassen, was wir eigentlich brauchen und was es zu beachten gilt, um mit Stoff zu wickeln. Als Betriebswirt mit einem beruflichen Hintergrund im Handel ist mir sehr schnell aufgefallen, dass es fast ausschließlich kleine Onlinehändler für dieses Produkt gibt und die großen Marktplayer wie z.B. die Drogeriemarktketten dm und Rossmann diese Produkte gar nicht mehr im Angebot haben.
Seit dem letzten Jahr hat sich dies übrigens verändert und dm hat mittlerweile sogar Stoffwindeln unter dem Label der Eigenmarke. Mich hat das damals erschrocken, denn es bedeutete, dass dieser Markt kaum noch Relevanz in Deutschland hat. Ich recherchierte dann weiter zu der Thematik und stellte fest, dass die Einwegwindel seit den 1970er Jahren den Windelmarkt mit ca. 95% Marktanteil fast vollständig übernommen hat (Quelle: BMU).
In der Konsequenz bedeutet dies, dass ein einziges Kind bis zum Trockenwerden mit 3 Jahren etwa 5.000 bis 6.000 Windeln verbraucht. Mehr als 700.000 Kinder eines Geburtenjahrgang werden mit Wegwerfwindeln gewickelt, da kommt dann eine Müllmenge von 3,8 Milliarden Windeln zusammen. Ich war anfangs sehr skeptisch, ob dies wirklich stimmen kann, aber ich fand weitere Zahlen, dass der Windelmarkt ein Umsatzvolumen von 650 – 800 Millionen Euro pro Jahr hat.
Dies bestätigte mir, dass diese gigantische Menge stimmig ist. Auf die Windel genau kann man das natürlich nicht beziffern. Während meiner Recherche entdeckte ich etwas weiteres mir bisher Unbekanntes, nämlich den Windelzuschuss. Überwiegend in Bayern gab es Städte, die eine Anschaffung von Stoffwindeln finanziell fördert, da sie das nachhaltige Handeln der Eltern unterstützen wollten. Bei uns hingegen wurde tatsächlich sogar der Müll subventioniert, indem man uns eine zusätzliche graue Windelmülltonne hinstellte. Das fanden wir ziemlich ungerecht und so gar nicht ökologisch. Schlussendlich gab dies dann den Ausschlag die Internetseite zum Thema Stoffwindeln zu entwickeln. Ich wollte meine Elternzeit nutzen, um mich einzubringen die Stoffwindel wieder bekannter zu machen und für eine Einführung des Windelzuschusses in weiteren deutschen Städten zu kämpfen.
Jana Patschehand: Was habt ihr seit Start eures Projekts schon alles bewegt? Was sind eure größten Erfolge?
Katharina & Oli: Als wir 2018 begonnen haben gab es in Deutschland 36 Städte, welche die Stoffwindelanschaffung finanziell unterstützten. Stand Januar 2021 sind es bereits 71 Städte und wir waren bei einigen der Neueinführungen beteiligt oder haben den nötigen Impuls gegeben, damit Menschen sich aktiv in ihren Heimatregionen einsetzen.
Auch über verschiedenste Kanäle konnten wir die Stoffwindel bekannter machen, so haben auch z.B. Nähseiten oder ein großer deutscher Finanzblog berichtet. Das Highlight in der öffentlichen Aufmerksamkeit war eine Erwähnung zum Thema Windelzuschuss in der ZDF Sendung WISO (https://www.zdf.de/verbraucher/wiso/wiso-vom-11-januar-2021-100.html).
Wir wussten davon nichts und haben dann aber innerhalb von 48 Stunden fast 150 E-Mails erhalten, von Menschen die sich einbringen wollen. Auch das Vernetzen von aktiven der Stoffwindelbranche ist uns immer wieder ein großes Anliegen und so konnten wir bereits einige Menschen zusammenbringen, die daraus positive Arbeit für die Stoffwindel haben entstehen lassen.
Unser Vorteil ist, dass wir unser Projekt nicht aus wirtschaftlichen Antrieb gestalten und so fällt es uns sehr leicht als Bindeglied aktiv zu werden, da wir niemanden als direkte Konkurrenz sehen, sondern wir uns vielmehr freuen über jeden der auch im Bereich Stoffwindeln aktiv ist.
„In 10 Jahren sollte wickeln mit Stoffwindeln nicht mehr total exotisch sein. Und der Stoffwindelzuschuss auf Bundesebene wäre auch toll.“
Jana Patschehand: Und was ärgert euch oder läuft noch nicht wie erhofft?
Katharina & Oli: Wir sind noch nicht zufrieden mit dem Thema Großstädte. Es ist deutlich schwieriger eine größere Stadt zu überzeugen und dabei hätte dieses viel mehr Wirksamkeit. Wir selber sind leider bereits sehr eingespannt in der Koordination von dem Gesamtprojekt und versuchen immer wieder die Menschen zusammen zu bringen, die uns aus einer Stadt anfragen. Für Berlin und München gibt es z.B. bereits WhatsApp Gruppen zum Koordinieren.
Leider merken wir aber, dass es oft daran scheitert, dass dort dann keiner das Zepter in die Hand nimmt, sondern jeder wartet, dass jemand anderes nun sagt was man machen soll. Uns selber fehlen leider die Ressourcen dafür und wir sind darauf angewiesen, dass die Menschen vor Ort dann selber auch wirklich aktiv werden mit unserer Unterstützung im Hintergrund. Wir sehen uns selber als zentrale Anlaufstelle für die Thematik und helfen bei Schriftverkehr oder führen Telefonate um den Aktiven vor Ort Erfahrungen aus anderen Städten mitzugeben.
Jana Patschehand: Und wo wollt ihr hin? Was sind eure Ziele?
Katharina & Oli: In 10 Jahren zurückblicken und erkennen, dass die Stoffwindel wieder einen festen Platz in der Gesellschaft hat und es nicht mehr außergewöhnlich ist das jemand so wickelt. Am optimalsten wäre natürlich, wenn es dann noch eine Förderung auf Bundesebene gebe 😉
Jana Patschehand: Wenn jetzt jemand dieses Interview mit euch liest und sich denkt: Tolle Sache! Wie kann dieser jemand euch denn supporten?
Es ist wichtig zu wissen, dass der Zuschuss immer politisch über einen Mehrheitsbeschluss des Stadtrats eingeführt werden muss. Um die politischen Entscheidungsträger in der Heimatregion zu kontaktieren, haben wir eine Musteranschreiben erstellt, welches wir gerne via Mail senden. Infos dazu findet man unter: https://deine-stoffwindel.com/missionwindelzuschuss/
Für uns ist es wichtig, dass wir Menschen vor Ort haben, die sich stark machen wollen, denn die Wirkung ist umso größer. Unsere eigenen Erfahrungen in der Politik haben gezeigt: Ein Vorschlag / Wunsch, der von den Bürgern vor Ort geäußert wird, findet viel mehr Beachtung. Im Hintergrund unterstützen wir natürlich! Wenn Rückfragen kommen, unterstützen wir, die Fragen sachlich fundiert zu beantworten oder teilen unsere Erfahrungen, die wir bei anderen Städten gesammelt haben. Für Menschen, die sich einbringen wollen, sind wir jederzeit erreichbar und machen Mut, es einfach zu probieren, denn mehr als Nein sagen kann die Stadt nicht.
Jana Patschehand: Vielen Dank für das Interview mit euch! Ich drücke fest die Daumen, dass ihr eure Ziele erreicht und weiter richtig was bewegt für den Stoffwindelzuschuss und weniger Müllberge!
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