In den letzten Tagen dieses Jahres widme ich mich einem Thema, das mich schon lange umtreibt. Und das nicht nur mich betrifft. Es geht um die Wahrung eigener Grenzen. Unsere Kraft ist eine Ressource, die wir nicht beliebig ausschöpfen können. So sehr wir es uns auch wünschen mögen: Allen Ansprüchen gerecht zu werden ist ein geradezu unmögliches Unterfangen. Ja, nicht einmal unsere eigenen Ansprüche können wir erfüllen (wobei diese ja oftmals auch die härtesten sind). Vor allem uns Frauen scheint es zunehmend schwerer zu fallen, unsere Grenzen zu akzeptieren.
Warum das meiner Ansicht nach so ist und weshalb ich mich von dem Gedanken verabschiedete, dass dieses Problem nur Baby-Mütter oder beruflich sehr eingespannte Frauen betrifft, erfahrt ihr in meinen drei Briefen an Mütter in unterschiedlichen Phasen / Lebenslagen.
Hier nun mein erster Brief ins Wochenbett an Neu-Mama Julia.
Die erste Zeit mit Baby: Wenn ich nur könnte, wie ich wollte
Hallo liebe Julia,
erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Geburt deines ersten Babys. Mich freut es, dass du überhaupt dazu kommst, meinen Brief an dich zu lesen. Schließlich bist du rund um die Uhr beschäftigt. Da ist dein kleiner Schatz, um den du dich Tag und Nacht liebevoll sorgst. Diese unfassbare Liebe zu deinem Kind hat dich glatt umgehauen. Du könntest es den ganzen Tag betrachten. Was du aber natürlich nicht tust. Denn es gibt so viel zu tun. Und das jeden Tag.
Der Haushalt macht sich nicht von allein. Also putzt, wäschst, spülst und kochst du, wenn dein Baby es irgendwie zulässt. Jedes Nickerchen deines Schatzes geht drauf für die Hausarbeit. Oder fürs Duschen und am Erscheinungsbild arbeiten. Deine Hebamme hat dir bei ihren Besuchen gesagt, dass du auch ein bisschen auf dich achten solltest. Doch wie das genau gehen soll, ist dir ein Rätsel.
Der Papa eures kleinen Sonnenscheins geht jeden Tag hart arbeiten. Er bringt das Geld nach Hause. Da kannst du doch nicht den ganzen Tag kuschelnd im Bett verbringen. Zum Abend ein leckeres Essen auf den Tisch bringen – das machst du gerne. Und nur weil du jetzt Mama bist, bist du ja auch immer noch Frau. Den ganzen Tag im Schlabberlook und mit Mama-Dutt durch die Gegend schlurfen? Ein absolutes No-Go. Findet auch Papa. Also achtest du auf dich und investierst Zeit in die Haut-, Haar- und Körperpflege.
Wann beginnt nochmal endlich der Rückbildungskurs? Den Termin kannst du kaum erwarten. Auch wenn es hier und da nach der schmerzhaften (ja, dieses Wort reicht für dieses, ähm, Ereignis wirklich nicht aus …) Geburt noch wehtut. Die noch übrigen Pfunde müssen schließlich ganz flott runter. Neue Klamotten eine oder zwei Nummern größer kaufen? Nein, du hast dir in der Schwangerschaft geschworen, dass das keine Option für dich ist.
Julia, bist du noch da? Du warst kurz abgelenkt, richtig? Dein Smartphone brummt aber auch ständig. Klar, alle wollen dein Baby sehen. Ein bisschen stolz (ja, jetzt stapel ich mal tief) auf dein kleines Wunder freust du dich ja auch über das große Interesse.
Und so empfängst du nicht nur regelmäßig Besuch, sondern fährst mit deinem kleinen Schatz auch zu denen, die es nicht zu euch nach Hause schaffen. Eine kleine Feier auf Arbeit, inklusive von dir vorbereitetem Buffet, inbegriffen. Umsorgt werden? Nein, das brauchst du wirklich nicht. Du hast alles im Griff. Wer bei dir zu Gast ist, soll sich wohlfühlen. Ein leckeres Essen wird natürlich serviert und die Wohnung ist selbstverständlich ordentlich.
Wobei du jetzt wohl, mit der Art verlegenem Lächeln, welches Unsicherheit überspielen soll, anmerken würdest, dass du dein Zuhause derzeit ja eher als Chaosbude siehst. Denn ein bisschen aufgeräumter könnte es hier und da schon sein. Und so entschuldigst du dich auch gleich bei deinen Besuchern: „Leider bin ich nicht mehr dazu gekommen …“.
Nur manchmal hast du das Gefühl, dass du besser mal die Beine hochlegen solltest. Oder die Augen auch tagsüber mal für fünf Minuten schließen. Dich zwischendurch einfach mal kurz ausruhen.
Da gibt es diese Tage, an denen du das Schreien deines Babys kaum ertragen kannst. Von den Nächten ganz zu schweigen. Tage, an denen dich bereits Kleinigkeiten total aufregen. Dein Geduldsfaden einfach sehr kurz ist. Und du beim Einkauf an alles gedacht hast. Nur nicht an das, was du eigentlich besorgen wolltest.
Manchmal gibt es dann Streit mit deinem Mann. Er versteht nicht, warum du in letzter Zeit so durch den Wind bist. Du bist doch den ganzen Tag zu Hause. Ist es nicht er, der jeden Tag zur Arbeit muss? Da ist es nicht zu viel verlangt, dass du die Nächte allein stemmst. Da stimmst du ihm zu. Tagsüber ist doch für dich sicher noch etwas Zeit zum Ausruhen?
Dein Partner nimmt keine Elternezeit. Er verdient so viel mehr als du. Aus finanzieller Sicht wäre das doch mehr als dumm. Manchmal sagt der Papa deines Babys, dass er auch gern mal so eine bezahlte berufliche Auszeit hätte. Sein Job ist aber auch herausfordernd. Seinen Feierabend hat dein Mann sich wirklich verdient!
Erschöpfung? Ja, manchmal spürst du sie. Dann hast du die Worte deiner Hebamme im Ohr. Doch allzu lang kannst du deinen Gedanken nicht nachhängen. Es ist so viel zu erledigen und in drei Stunden kommt dein Mann nach Hause.
Liebe Julia, ich wünsche dir viel Kraft für die nächsten Monate und alles Gute für deine kleine Familie,
deine Jana
Mit welchen Herausforderungen Janine, eine Mama mit Kleinkind, konfrontiert ist, erfahrt ihr im zweiten Teil von „Mama, achte auf dich: Warum es Mut erfordert, die eigenen Grenzen zu wahren.“.
Anne, eine in Vollzeit berufstätige Mehrfachmama von zwei Schulkindern teilt das Problem der mangelnden Zeit für eigene Bedürfnisse. Zu meinem dritten Brief geht es hier.